Sterben

Vor einem Jahr starb Axels Großvater, der über Jahre hinweg immer mehr Pflege benötigt hatte. An diesem Morgen erfuhr Axel zwar von Opas Tod, durfte aber nicht zu ihm. In der Schule befragt, schien er den Tod seines Opas nicht wirklich realisiert zu haben. Am Nachmittag fragte er nach Opa und wollte ihn sehen. Seine Oma erlaubte dies, er ging hin, fasste ihn an, sagte: "kalt" und wendete sich anderen Dingen zu. Aber diese "KÄLTE" verbindet er seitdem mit dem Tod. (Wenn wir von einem Verstorbenen reden, fragt Axel: "kalt?")

Nach der Beerdigung erstellte ich gemeinsam mit Axel einen Wochenendbericht, in dem ich das Ereignis in Bild, Schrift und Gebärde fest hielt. Nun war Axel in der Lage, über das Thema zu kommunizieren.

Interessanterweise beschäftigt ihn das Thema "Tod" weiter, nicht als Todesangst, nicht als Verlustangst, sondern viel grundlegender als Ursachenfrage: Er soll ein kleines Messer aus der Schublade holen, greift das größte Brotmesser, stößt es in meine Richtung (mit hinreichend Abstand) und ruft: "HA!". Er fragt, ob er Kleber essen darf oder Pilze, die auf der Wiese wachsen und tut so, als wolle er sie in den Mund stecken. Er zieht sich in meinem Beisein eine Plastiktüte über den Kopf oder er sagt nach der Therapiestunde, als er aus dem Haus kommt (der Therapeut kommt immer hinterher, weil er anschließend einen Termin außerhalb hat): "Herr K ist tot". Ich bin entsetzt, denn damit macht man keinen Spaß. Jedoch kann ich sagen, was ich will, das nonverbale Verhalten wiederholt sich.

In den Herbstferien habe ich nun mit Axel ein Heft erstellt (Bilder, Gebärden und Sätze), in welchem wir zunächst den Körper mit seinen wesentlichen Funktionen untersuchten (Haut, Muskeln, Adern/Herz mit seinem Herzfehler, Lunge mit seinen Atemproblemen, Nerven mit seiner Kitzeligkeit, Gehirn als Denkapparat, Verdauung mit seinen Unverträglichkeiten, Knochen). Dann beschäftigten wir uns mit den Gefahren für den Körper und gesunden Verhaltensweisen im Unterschied dazu. Nun wurde auf einmal der Begriff GIFT, der bisher von mir ausschließlich verbal benutzt wurde, real und Axel benutzt ihn seitdem fragend.

Wegen der Probleme, die Axels nonverbales Verhalten im sozialen Kontext erwarten ließ, ergänzte ich das Thema "Tod und Leben" durch eine gesellschaftliche Komponente:

Europa-Puzzle Anhand eines farbigen Europa-Puzzles nahm ich Bezug zu den verschiedenen Ländern und führte in diesem Zusammenhang die Begriffe Regierung und Gesetz ein. Als wichtigste Gesetze formulierten wir: "du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht lügen" und anhand eines Bildes aus dem Internet schauten wir uns ein Gericht mit Ankläger, Richter und Täter an. Dann beschäftigten wir uns mit Gegensätzen zum Thema, denn aus Erfahrung weiß ich, dass Axel intuitiv immer nach Gegensätzen forscht, diese aber nicht unbedingt bewusst trennen kann. Hauptthemen waren: Tod - Leben, Strafe - Belohnung, Feind - Freund, wobei er seine verschiedenen Verhaltensweisen selbst in eine Tabelle einordnete. Europa-PuzzleDabei führte ich auch die Begriffe: Diktatur und Demokratie ein, denn unter Freunden (seit kurzem kommen regelmäßig 3 Mädchen aus der Nachbarschaft zum Spielen und nun muss er sich dem Gemeinschaftswillen unterordnen und hat keinen Behindertenbonus mehr) entscheidet immer die Mehrheit.

Alles in Allem war Axel jeden Tag sehr motiviert, verlangte von sich aus das "Arbeiten" und nach einer Woche hatte er das Heft fertig gestellt. Zum Wiederholen erfand ich danach noch ein Würfelspiel, welches ich auf die letzte Doppelseite klebte und das Axel nun mit seinen neuen Freunden spielt.

(Sabine Häusler)